Rezension zu „A private sphere“

In einer der kommenden Ausgaben von „Medien und Kommunikationswissenschaft“ wird eine Rezension von mir zum Buch „A private sphere. Democracy in a digital age“ erscheinen. Im Blog ist sie heute schon zu lesen, und zwei weiterführende Links gibt es auch noch! :-)

Rezension zu: Papacharissi, Zizi (2010). A private sphere. Democracy in a digital age. Cambridge: Polity.

Nicht nur aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive ist der Strukturwandel von Öffentlichkeit, den digitale Medientechnologien anstoßen und befördern, wohl eine der gesellschaftlich folgenreichsten Entwicklungen unserer Zeit. Im Alltag von Privatpersonen äußert er sich zum Beispiel in verschwimmenden Grenzen zwischen Privatsphäre und Selbstoffenbarung, was unter Umständen auch Gefühle von Kontrollverlust mit sich bringt. Für demokratische Gesellschaften als Ganze geht es hingegen um nicht weniger als die Frage, wie Praktiken der Information zu, Teilhabe an und Koordination von gesellschaftlichen Belangen unter den neuen Medienbedingungen gestaltet werden können.

Zizi A. Papacharissi, die an der University of Illinois in Chicago das Department of Communication leitet, hat mit „A private sphere“ eine Studie vorgelegt, die eine Reihe von Argumenten zu diesem Strukturwandel entfaltet und in breitere Diskussionen aus der politischen, soziologischen und kommunikations­wissenschaftlichen Forschung einbettet. In insgesamt sechs Kapiteln rekonstruiert sie unter anderem die Unterscheidung zwischen „private“ und „public“ in verschiedenen politischen Theorien, stellt unterschiedliche Modelle der Zugehörigkeit bzw. „citizenship“ dar und setzt sich mit der Frage auseinander, ob das Internet nur einen „public space“ oder auch eine „public sphere“ schaffe. Ersteres bejaht sie, letzteres weist sie zurück, weil zentrale Kriterien (gleichberechtigter Zugang zu Informationen; Reziprozität in der Kommunikation; Abwesenheit von „kommerzieller Kolonialisierung“) nicht erfüllt seien.

Um nicht bei dieser Defizit-Diagnose stehen zu bleiben, plädiert sie dafür, die gegenwärtigen konvergenten Praktiken nicht mehr am alten Idealmodell der Öffentlichkeit (organisierter, rationaler und verständigungsorientierter Diskurs in jedermann zugänglichen Arenen) zu messen, sondern über die Erweiterungen von Öffentlichkeit nachzudenken, die digitale Medien mit sich bringen. Dazu schlägt sie im letzten Kapitel des Buchs das Konzept der „private sphere“ vor, wobei sie darunter nicht die „Privatsphäre“ im deutschen Sinn versteht (die ja eher mit dem Begriff der „privacy“ korrespondiert). Vielmehr versucht sie mit dem Konzept zu fassen, dass das Internet persönlich-private Kommunikationsräume schafft, in denen Menschen soziale Beziehungen pflegen, die über die interpersonale Kommunikation hinausreichen: „Within this private sphere, the citizen is alone, but not lonely or isolated. The citizen is connected, and operates in a mode and with political language determined by him or her.” (S. 132).

Diese private sphere, so Papacharissi, äußere sich in einer Reihe von Praktiken, die zumindest das Potential für politische Teilhabe besäßen, auch wenn sie nicht per se politisch seien bzw. eine politische Öffentlichkeit konstitutierten. Fünf dieser „new civic habits“ beschreibt sie näher:

Erstens führt sie Praktiken des Identitäts- und Beziehungsmanagements rund um das “networked self“ bzw. die „remote connectivity“ an, wie sie sich vor allem auf Netzwerkplattformen äußern. Sie sind strukturell um das “Self” organisiert, das in ein erweitertes soziales Netzwerk eingebunden ist und diese sozialen Beziehungen beständig pflegt und aktualisiert, indem Informationen von persönlicher Relevanz zugänglich gemacht werden; darunter können auch politische Themen seien. Zweitens nennt sie Praktiken des Bloggens, die sie als Ausdruck von „Narzissmus“ im Sinne einer selbst-zentrierten und introspektiven Praxis interpretiert. Blogger würden ihr Tun demnach primär als expressive Aktivität verstehen, weniger als Deliberation.

Als drittes Beispiel dient ihr YouTube – weniger eine Praxis an sich, sondern eher ein Ort an dem sich politische Teilhabe mittels Formen der Satire, der kreativen Mashups und des Unvorhergesehenen äußere. Viertens geht sie auf „News Aggregation“ ein, also das kollaborative Erstellen von Ranglisten aktuell populärer Themen durch das Sammeln einer Vielzahl von Einzelstimmen oder „Votes“. Entsprechende Mechanismen finden sich inzwischen nicht mehr nur auf Plattformen wie digg.com, sondern fokussieren auch auf Twitter oder Facebook Aufmerksamkeit. Fünftens schließlich beschreibt sie Online-Aktivismus als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Aktivitäten, die nicht auf einzelne Plattformen oder Werkzeuge beschränkt sind und oft grenzüberschreitend soziale Bewegungen konstituieren.

Das Buch enthält zahlreiche interessante und aufschlussreiche Gedanken, darunter zum Beispiel das Argument, parallel zum Bedeutungsgewinn von Konsum als Modus der Zugehörigkeit sei auch „privacy“ – verstanden als „Sphäre in der man in Ruhe gelassen wird“ – zu einem Luxusgut geworden. Für eine wachsende Zahl von Bürgern sei gerade „informationelle Privatheit“ (Beate Rössler) nicht mehr zugänglich bzw. zu kostspielig; nicht zuletzt, weil sie gegen informationelle Güter und Dienstleistungen (wie den kostenfreien E-Mail-Account oder die Interaktionsmöglichkeiten auf einer Netzwerkplattform) getauscht werden kann, auf die zu verzichten sich nicht jeder leisten vermag.

Kritisch ist anzumerken, dass nicht immer analytisch deutlich argumentiert wird und die Zuordnungen von Technologien, Praktiken und Öffentlichkeiten nicht immer überzeugen, z.B. wenn YouTube vorrangig als Ort für Satire und Unvorhergesehenes interpretiert wird. Zudem werden viele der privat-persönlichen Räume der „private sphere“ von kommerziellen Unternehmen betrieben und kontrolliert. Fragen der informationellen Selbstbestimmung gegenüber diesen Datensammlern sowie der Einflussmöglichkeiten über die Gestaltung dieser Räume, letzlich also der selbstbestimmten Teilhabe auch an der private sphere, reisst Papacharissi eher an, als dass sie Antworten geben kann. Nichtsdestotrotz ist ihr Buch ein lesenswerter und anregender Beitrag zur Debatte um den neuen Strukturwandel von Öffentlichkeit.

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