Andrew Keen in Ilmenau

[Update 25.11] Die Folien der einzelnen Vorträge sind inzwischen auch auf der Tagungs-Homepage verfügbar.

Donnerstag bis Samstag habe ich in Ilmenau auf der Tagung der DGPuK-Fachgruppe „Computervermittelte Kommunikation“ verbracht, die unter dem Thema „Politik 2.0“ stand. Es waren ziemlich interessante und diskussionsreiche Tage, auch wenn der „2.0“-Aspekt längst nicht bei allen Vorträgen im Mittelpunkt stand. Vielmehr gab es auch eine ganze Reihe von Präsentationen, die sich mit eher allgemeinen Aspekten der Internetnutzung durch Politiker, politische Parteien oder Organisationen und Bürger auseinandersetzten; sie vermittelten – ganz grob zusammengefasst – das Bild, dass hierzulande die politische Onlinekommunikation gegenwärtig v.a. und weiterhin den Bereich der politischen Information umfasst, aber z.B. Partizipationskommunikation (zwischen Bürgern, oder auch zwischen Bürgern und Vertretern des politischen Systems) nur punktuell und auf einzelne Gruppen bezogen stattfindet.

Ich habe keinen Vortrag gehalten, und auch das Liveblogging hat nicht so recht funktioniert, weil ich einfach nicht gleichzeitig zuhören und reflektierend schreiben kann.. :) In eigener Sache kann ich aber immerhin vermelden, dass ich bei der Mitgliederversammlung zum 2. Sprecher der Fachgruppe gewählt wurde. Zusammen mit Martin Emmer, der als 1. Sprecher gewählt wurde, will ich mich bemühen, die bisherige Arbeit von Wolfgang Schweiger und Simone Kimpeler fortzusetzen – herzlichen Dank nochmal an die beiden für ihren Einsatz in den vergangenen vier Jahren!

Besonders reizvoll war die Tagung aber noch aus einem anderen Grund: Die Keynote kam von Andrew Keen, der mit seinem Buch „The cult of the amateur“ eine Fundamentalkritik am Web 2.0 verfasst hat, die selbst wiederum viele kritische Reaktionen provoziert hat (nur beispielhaft Lawrence Lessig und Martin Oetting). Derzeit ist er in Europa unterwegs; einen Auftritt einige Tage vorher in Berlin hat bspw. Robin Meyer-Lucht besucht (und keine freundlichen Worte gefunden). Ohne dass ich ihn dort gehört oder sein Buch gelesen hätte: Der Vortrag in Ilmenau schien mir eine etwas andere Ausrichtung zu haben, da er nicht so sehr auf die Verschiebungen in der Bedeutung von professionellen Experten vs. Laien/Amateuren einging, sondern etwas grundsätzlicher argumentierte. Lässt man seine oft durchblitzende Polemik und abenteuerlichen Assoziationen mal beiseite ((Z.B. sprach er von der Gefahr des „digitalen Faschismus“ und führte Twitter als Beispiel an, weil es dort nur „follower“ und „followed“ gäbe.)), hat er meines Erachtens doch zwei wichtige Gedanken angeführt:

Zum einen erinnerte er daran, dass die Rhetorik des Web 2.0, das Hervorheben von Dezentralität, Demokratisierung, und dem Ende etablierter Informationsmonopole, die ebenfalls stattfindenden Machtkonzentrationen und Re-Monopolisierungen verschleiert. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass sich verschiedene Akteure (wie Google oder Facebook) als zentrale Gatekeeper oder Plattformen für unser Agieren in den vernetzten Öffentlichkeiten des Web 2.0 etablieren; sie agieren weitgehend intransparent und sind letztlich (allen „don’t be evil“-slogans zum Trotz) profitorientierte, von den Nutzern nicht kontrollierbare Unternehmen. Andere massgebliche Knoten in den vernetzten Öffentlichkeiten (wie Wikipedia oder digg.com) weisen eine sehr ungleiche Beteiligungsstruktur auf, bei der eine vergleichsweise kleine Anzahl von sehr aktiven Nutzern großen Einfluss auf die Gestalt der Inhalte bzw. der Prominenz bestimmter Nachrichten haben. Keen deutet dies als Entstehen von „digital oligarchies“, die er als hoch problematisch ansieht.

Zum anderen argumentierte er mit Blick auf die Politik, dass hier das Web 2.0 der Blogs und Social Network Sites nicht zu einer Demokratisierung, sondern eher zu einer Ent-Institutionalisierung führe, die mit einer hochgradigen Personalisierung von politischer Kommunikation einhergehe. Obama (den er durchaus schätze) sei hierfür ein gutes Beispiel, weil er als „digital charismatic“ Gefolgschaft mobilisieren und an etablierten Organisations- und Vermittlungsstrukturen vorbei für seinen Wahlkampf einspannen konnte. Für ihn zeige sich daran, dass eine radikale Desintermediatisierung die Gefahr des „fascism 2.0“ heraufbeschwöre, wo Demagogen Meinung manipulieren und undemokratische Ziele umsetzen könnten. Erneut: Ich teile die Diagnose nicht, aber wichtig ist meines Erachtens der Gedanke, dass technologische Entwicklungen eben nicht per se bestimmte gesellschaftliche Folgen mit sich bringen, also aus der dezentralen Architektur auch automatisch eine basisdemokratische Gesellschaft folge. Das Hinzutreten neuer Akteure, die eigene Öffentlichkeiten schaffen und Informationen auf neuen Bahnen filtern und verteilen können, bringt auch Re-Intermediation mit sich; bildlich gesprochen entstehen neue Knoten und Zentren in den vernetzten Öffentlichkeiten – und es nicht in den Code eingeschrieben, wer diese Knoten und Zentren besetzt.

Genauso wenig ist aber auch die Entwicklung in die von Keen skizzierte Richtung zwangsläufig. Sein zynischer und kulturpessimistischer Auftritt – an einer Stelle rückte er seine Haltung in die Nähe von Adorno, für den die gesellschaftliche Entwicklung kein progress, sondern decline gewesen sei – trug daher nicht gerade dazu bei, dass uns an einem diesigen Novembermorgen mit Nebel über den Ilmenauer Bergen ((Von wegen: “ Ilmenau, himmelblau„….)) warm ums Herz wurde. Trotzdem: Er sprach einige Themen an, die in den Diskussionen der Tagung immer wieder aufgegriffen wurden – insofern kann man wohl sagen, dass seine Keynote ihren Zweck erfüllte.

5 Kommentare

  1. nur eine kurze anmerkung zum ilmenauer wetter, das ja ganz unten mal kurz angesprochen wird:
    bei uns in meiner ilmenauer zeit vor 2 jahren (habe da mal ein semester studiert) hieß es viel passender „entweder es regnet oder die schranke ist unten“ (versteht man nur, wenn man schonmal in ilmenau war)

  2. Ich kenne Andrew Keen nicht. Das sage ich gleich vorweg. Was mich jedoch wundert ist, dass alles was es an Phänomenen im Internet gibt, automatisch auf Faschismus hinauslaufen soll. Bitte?!
    Gerade Beiträge wie deiner zeigen doch, dass das was an Kritik gegenüber dem Web 2.0 existiert ernst genommen wird und keinesfalls verschluckt wird, was Mr Keen implizit wohl mit seinen Äußerungen sagen möchte, was ich Mr Keen jetzt einfach als unterschwellige Behauptung unterstelle ;-)
    Genauso wenig folge ich ihm im Hinblick auf große kolloborative Werke wie etwa die Wikipedia. Sicher, es gibt einige wenige sehr aktive Wikipedianer, die für einen Großteil der Informationen verantwortlich zeichnen, aber gerade diese Leute glauben auch an freie Informationen und an freien Informationsfluss. Es erscheint doch absurd, dass diese Leute auf einmal anfangen würden ihre Werte gegen „Macht“ einzutauschen. Da diese Leute auch nicht wirklich eine homogene Gruppe bilden und es ständig Streitigkeiten gibt, zeigt wieder einmal die Offenheit für Diskussionen. Was die Monopole betrifft, bin ich mir mit mir selbst nicht einig. Einerseits bin ich schon eine Art Google-Fanboy und nutze sehr viele Services des Konzerns. Andererseits bin ich mir über die problematische (und immer problematischere) Stellung Googles bewusst, klar weiß Google wahrscheinlich mehr über mich als ich selber, aber was hat Google für ein Interesse daran gerade meine Person fertig zu machen? Vielleicht denke ich zu pragmatisch um mir ernsthaft ein „Googleperium“ vorstellen zu können. Und wie heißt es so schön? Wechseln kann man immer noch. Ich nutze zum Beispiel heute ausschließlich Linux und weitestgehend freie Software.

  3. Hallo Jan!

    War schon sehr nett in Ilmenau. Ach ja, Himmelbleu, Herzerfreu.

    Ich fand den Herrn Keen auch durchaus beeindruckend. Vor allem auch in Sachen Vortragsführung durchaus klasse. Inhaltlich fand ich den Ansatz sehr wichtig, sich mal zu vergegenwärtigen, wer eigentlich von dem ganzen erstellten, gesuchten und genutzten Inhalten im Web 2.0 profitiert. Und das sind nun mal einige wenige. Zumindest in monetären Einheiten. Aber dennoch werden den Individuen gewisse Dinge erleichtert: Unter anderem das „Stimme erheben und sich sozialisieren“. Ist halt die Frage, was passiert, wenn irgendwann diejenigen, die ihre Stimme erheben, dies in Dissonanz zu denen tun, die Ihnen dies (technisch) ermöglichen. Was machen Google und Co. denn, wenn es hart auf hart kommt? Keiner weiß es. Noch ist Google lieb. Aber bleibt das so?
    Für mich ist auch interessant, was in Sachen Politik in Zukunft passiert. Barack Obama hat in erster Linie von den Web 2.0 Möglichkeiten und den Aktivitöten seiner Unterstützer profitiert. Noch haben die Wähler nichts davon. Es bleibt abzuwarten, ob Obama vielleicht eine Antwort darauf finden kann, wie die „Stimmen“ (mir fällt kein besseres Wort ein) der einzelnen Unterstützer auch von ihrem Einsatz profitieren.


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