Für die neueste Ausgabe der Publizistik habe ich eine kurze Rezension zu „Social Media und Journalismus“ (Neuberger/Langenohl/Nuernbergk) verfasst; für mein Blog gibt es jetzt die Fassung mit Hyperlinks :-)
In den Zeitraum, den die Publizistik dem Rezensenten zur Besprechung einräumte, fiel das Angebot von Facebook an Medienhäuser, zukünftig auch deren Inhalte selbst zu hosten. Auf Twitter wurde derweil unter den hashtags #szleaks und #tazgate über Enthüllungen aus und Datenspionage in deutschen Tageszeitungsredaktionen diskutiert. Und die Meldung, dass das Verfahren gegen Sebastian Edathy eingestellt worden ist, haben unzählige Menschen auf ihren Facebookseiten teils so wütend, gar hasserfüllt kommentiert, dass dies wiederum Thema der journalistischen Berichterstattung wurde.
Alle drei Fälle illustrieren, wie soziale Medien den Journalismus ergänzen, erweitern und transformieren – Plattformen wie Facebook und Twitter, aber auch YouTube oder Blogs stellen Infrastrukturen zur Verbreitung von Nachrichten dar, sie sind Resonanzraum von Anschlusskommunikation, und sie können Quelle der Berichterstattung selbst sein. Wie gut also, dass Christoph Neuberger, Susanne Langenohl und Christian Nuernbergk von der LMU München im Herbst 2014 eine aktuelle Bestandsaufnahme des Zusammenhangs von sozialen Medien und Journalismus vorgelegt haben. Auf knapp 150 Seiten plus Anhang fassen sie Ergebnisse eines Projekts zusammen, das sie für die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen bearbeitet haben; der Band ist als .pdf-Version im Publikationsbereich der LfM-Homepage auch frei verfügbar.
Nach einer kurzen Einführung gibt Christoph Neuberger einen kompakten Überblick zum aktuellen Forschungsstand, den er nach den drei etablierten Beziehungen zwischen sozialen Medien und Journalismus gliedert: Konkurrenz, Komplementarität und Integration. Daran schließen sich zwei Kapitel an, die auf eigenen empirischen Studien beruhen: Zunächst berichten die drei Autoren Ergebnisse einer Redaktionsbefragung unter 105 (von 151 angeschriebenen) Redaktionen professionell-journalistischer Internetangebote. Sie liefert detaillierte Befunde u.a. zum Einsatz von sozialen Medien für die Verbreitung von Inhalten, die Publikumsbeteiligung und die journalistische Recherche. Weitere Fragenblöcke erfassten die Ziele, Strategien und generellen Einschätzungen, die die Befragten mit sozialen Medien verbinden. Zudem findet sich eine gesonderte Diskussion der Situation bei regionalen und lokalen Tageszeitungen.
Die zweite Teilstudie, für die Christian Nuernbergk verantwortlich zeichnet, verschob den Fokus von Redaktionen auf einzelne Journalist/innen, genauer: auf die 223 Mitglieder der Bundespressekonferenz (von insgesamt 839), die im Frühjahr 2014 einen Twitter-Account besaßen. Deren kommunikative Aktivitäten wurden über einen Monat hinweg erfasst und sowohl inhalts- als auch netzwerkanalytisch ausgewertet, um Themen und Einsatzweisen einerseits, regelmäßige Kommunikationspartner und Referenzen andererseits zu ermitteln.
Im abschließenden Fazit fassen die Autoren die Kernergebnisse ihrer Studie zusammen: Facebook- und Twitter-Accounts sind demnach inzwischen Standard für journalistische Redaktionen, wobei die Netzwerkplattform insbesondere dazu dient, Resonanz auf die eigene Berichterstattung zu stimulieren und beobachtbar zu machen; der Microblogging-Dienst Twitter wird demgegenüber stärker dazu eingesetzt, prominente Quellen und Experten zu beobachten und bei Live-Ereignissen nahezu synchron begleitend berichten zu können. Die twitternden BPK-Mitglieder nutzen den Dienst vorrangig, um öffentlich relevante Informationen zu transportieren. In den manifesten Interaktionen (also direkten Bezugnahmen via Retweets oder @-Replies) zeigt sich eine deutliche in-group-Orientierung: Hauptinteraktionspartner sind andere BPK-Mitglieder, und erst mit einigem Abstand dann Politiker/innen.
Der Wert sozialer Medien für den Journalismus liegt der Studie zufolge also weniger darin, die Nutzer/innen direkt an der Erstellung journalistischer Inhalte zu beteiligen, sondern vielmehr über alternative Verbreitungskanäle und Räume der Anschlusskommunikation das bisherige Publikum zu binden und zusätzliche Reichweite zu gewinnen. Zugleich sind die Befragten mehrheitlich der Auffassung, dass der redaktionelle Aufwand für die Betreuung und Beobachtung der sozialen Medien gestiegen ist. Umso wichtiger scheint es, dass Redaktionen wie auch einzelne Journalist/innen eine klare Vorstellung davon entwickeln, welche publizistische Strategie sie in und mit Social Media verfolgen. Die vorliegende Studie, das sollte deutlich geworden sein, bietet eine Fülle an einzelnen Befunden wie auch an Synthese und Verdichtung zu diesem Thema; auf Twitter würde man daher sagen: #lesebefehl.