Erste Sitzung des Gesprächskreises Netzpolitik und digitale Gesellschaft

Update 5.3. Auf vorwaerts.de ist das Protokoll des Treffens zu finden.

(*) Update 3.3.: Nachdem meine Schilderung von Jo Schäfers bei netzpolitik.org verlinkt wurde, hat sich eine erste Diskussion über den Stellenwert des Gesprächskreises entzündet, u.a. an meiner Formulierung: „dass der Zweck des Gesprächskreises nicht in der Beratung des Parteivorstandes liegt“. Dieser Halbsatz ist nur im Kontrast zum alten Online-Beirat zu verstehen; dessen Zweck war nämlich explizit die (nicht-öffentliche) Beratung des PV. Der neue Gesprächskreis versteht sich anders, er wird, will und soll explizit und öffentlich bzw. breit vernetzt programmatische Positionen erarbeiten, politische Forderungen aufstellen und so durchaus beratend, nein: meinungsbildend in die Partei hinein wirken. Siehe auch Matthias Richels Eindrücke von der gestrigen Sitzung.

Ich bin gerade auf dem Rückweg von der ersten Sitzung des Gesprächskreises Netzpolitik und digitale Gesellschaft der SPD und möchte zumindest kurz einige Gedanken festhalten, auch um dem Wunsch bzw. der Forderung nach Transparenz des Gremiums und der Möglichkeit zur Mitsprache nachzukommen. Nach dem eher unerfreulichen Ende des alten Online-Beirats bin ich sehr froh,dass Zusammensetzung und Anspruch des Gesprächskreises verändert wurden; zunächst einmal ist er mit ca. 25 Mitgliedern (inklusive derjenigen, die heute verhindert waren) etwas größer, pluraler und facettenreicher als der alte Online-Beirat. Es wird sich zeigen, inwieweit das die inhaltliche Arbeit eher erleichtert oder eher erschwert, doch es spricht zumindest dafür, dass wir eine Reihe von Themen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven werden beackern können.

Deutlich gravierender wird aber sein, dass der Zweck des Gesprächskreises nicht in der Beratung des Parteivorstandes liegt (*), sondern wir in den kommenden Monaten eigene programmatische Positionen erarbeiten und aktuell anliegende Themen diskutieren wollen. Dies wiederum soll nicht im eigenen Saft passieren, sondern wo immer es geht Meinungen aus der SPD sowie von relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen einbeziehen – auch das sicherlich eine besondere Herausforderung, die sich aber meines Erachtens lösen lässt; erste Ideen wurden heute auch schon diskutiert:

  • Eine öffentliche (Un-)Konferenz o.ä. in der zweiten Jahreshälfte
  • Präsenz und Vernetzung des Gesprächskreises (bzw. seiner Mitglieder) in einschlägigen Foren, Veranstaltungen und Gremien, übrigens explizit auch über Deutschland hinaus
  • Das offene Kommunizieren und zur-Diskussion-Stellen von Themen und Thesen im Vorfeld und Nachgang der Sitzungen.

Ich hoffe sehr, dass die Bedenken, die gerade von der engagierten Parteibasis im Zuge der Gesprächskreis-Konstituierung kamen (top-down-Modell; mangelnde Mitspracherechte; Intransparenz) dadurch – und durch unsere tatsächliche Praxis – ausgeräumt werden. Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass es ohne den Input jenseits unseres Kreises nicht gehen wird. Die kollaborative Mindmap, die Henning Tillman angestossen hat, ist ja ein wunderbares Beispiel, wie kollaborativ Ideen gesammelt und strukturiert werden können.

Dies bringt mich noch zu einem letzten Punkt, der mir vorhin durch den Kopf ging. Wenn es um die Positionierung und das Formulieren von Zielen geht, kann das Sammeln von Themen ja nur ein erster Schritt sein. In der Diskussion heute wurden mehrfach die sozialdemokratischen Grundwerte von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit genannt, die unsere Positionen leiten können. Ich meine aber, dass sie noch zu abstrakt sind, um tatsächlich lenkend sein zu können; sozialdemokratische Werte lassen sich denke ich noch etwas stärker konkretisieren. Für mich ist es zum Beispiel wichtig, dass die digitale Gesellschaft, die wir gerade gestalten, Aspekte der Teilhabe, der Befähigung und des Schutzes realisiert sind.

  • Mit „Teilhabe“ meine ich nicht nur, dass all denjenigen, die dies möchten, ein Zugang zu den Kommunikations- und Informationsräumen des Internet zur Verfügung steht (dies berührt also Fragen der technischen Infrastruktur), sondern dass Menschen auch in der Lage sind, mit Hilfe des Internets an gesellschaftlichen Belangen teilzuhaben, also demokratisch partizipieren und ihre eigenen Lebensumstände gestalten zu können. Dies betrifft einerseits alle Aspekte, in denen wir das Internet als Werkzeug nutzen können, um Informiertheit, Diskurse und Entscheidungen zu fördern, andererseits aber auch die Gestaltung der Kommunikationsräume des Internets selbst. Die Mitsprache bei der technischen Gestaltung, bei der Formulierung von Normen und Verhaltensstandards („Wie wollen wir auf einer Plattform miteinander umgehen?“) oder bei der Verwendung von Daten und nutzergenerierten Inhalten ist derzeit noch viel zu schwach ausgeprägt; hier müsste sich meines Erachtens ein „demokratisches Selbstverständnis“ herausbilden, so ähnlich wie zu Recht mittlerweile auf allen politischen Ebenen mehr Mitspracherechte und partizipative Elemente eingefordert werden.
  • Teilhabe setzt Befähigung voraus – ich muss in der Lage sein, mich kompetent in den digitalen Kommunikationsumgebungen bewegen zu können, meine eigenen Anliegen vertreten und gestalten zu können, und die Folgen meines individuellen oder kollektiven Handelns auch reflektieren zu können. Hier bewegen wir uns an der Schnittstelle von Medienkompetenzförderung, politischer Bildung und so etwas wie „Sozialkompetenz“, die die Nutzer erkennen lässt, dass ihr Handeln auch in onlinebasierten Umgebungen Konsequenzen hat, im guten wie im schlechten Sinn. Es geht also ausdrücklich nicht nur um technische Bedienkompetenz, sondern um mehr: Sozialdemokratische Netzpolitik muss Menschen in die Lage versetzen, ihr eigenes Medienhandeln reflektieren und in seinen Folgen einschätzen zu können.
  • Der Aspekt des Schutzes wiederum hängt mit den genannten Aspekten zusammen: Solange es Menschen gibt, die – aus welchen Gründen auch immer: Bildungsbenachteiligung; fehlende materielle Ressourcen; Diskriminierungen nach Geschlecht, Weltanschauung oder ethnischer Zugehörigkeit, etc. – nicht selbstbestimmt an den neuen Öffentlichkeiten teilhaben können und ausgeschlossen sind, müssen wir uns auch um deren Anliegen kümmern. Dies schließt besondere Schutzbedürfnisse zum Beispiel für Kinder und Jugendliche ein; dass ich den Wert der Freiheit auch und gerade in Bezug auf die Internetkommunikation so sehr schätze heisst eben nicht, dass ich mich mit der möglichen Kollateralfolge zufrieden gebe, dass Jugendliche mit allen Inhalten und Äußerungen konfrontiert werden dürfen, weil Erwachsene diese gerne kommunizieren möchten. Aber es heisst für mich auch, dass das Internet eben nicht allein den technisch Versierten oder Artikulationsfreudigen gehören und deren Interessen wiederspiegeln darf.

Mal sehen, ob wir im Gesprächskreis diese Aspekte in den kommenden Monaten diskutieren können – ich freue mich jedenfalls darauf.

7 Kommentare



  1. Der Aspekt der Teilhabe ist schön hervorgehoben, gibt es viele Dinge, denen ich auch zustimme, gibt es aber einzelne Sachen denen ich nicht so unreflektiert zustimmen würde.

    Das Teilhabe eben auch bedeutet sich „Medienkompetent“ verhalten zu können. Eindeutige Zustimmung. Medienkompetenz heißt aber auch sich ernsthalt die Frage zu stellen, sind Kinder oder Jugendliche anwesend.

    Gerade letztere werden im aktuellen Gesellschaftsbild eher dazu veranlasst sich als bereits Medienkompetent, sind sie doch vielfach der erste Ansprechpartner, wenn mit der Kiste was nicht geht.

    Das ist aber nur ein Ausschnitt eines Gesamtbildes Medienkompetenz, wenn sicher auch einer der größeren.

    Medienkompetenz beinhaltet auch einen Ausschnitt Sozialkompetenz. Und hier fehlt es meist in weitgehender Erfahrung. Erfahrung im Umgang mit meist wildfremden Menschen. Auch wenn im Netz das persönliche Du die überwiegende Ansprache ist, viele Ältere haben da gelegentlich ein Problem mit. Usw.

    Hier gibt es bezüglich Medienkompetenz sicher noch einiges zurechtzurücken.

    Worauf ich aber hinauswollte. Ist es wirklich sinnvoll, die Rücksichtnahme auf Kinder und Jugendliche gesetzlich erzwingen zu wollen. Und unterstellen im Vorfeld das dieses kein Erwachsener leisten könnte ?

    Schaffen wir damit nicht die Illusion einer scheinbaren Sicherheit, die es im Netz nicht geben kann. In sowohl der Hinsicht als das Eltern ihre Kinder und jugendliche unbesorgt surfen lassen. Und in der Hinsicht, dass sich Erwachsene im Vertrauen auf verfügbaren Jugendschutz regelmäßig völlig daneben benehmen.

    Es ist meines Erachtens der falsche Ansatz der Wirkung prohibitiver Mechanismen zu vertrauen. Vielmehr plädiere ich für die intensive Aufklärung bezüglich Medien- und Sozialkompetenz.

    Das Internet ist ein Kommunikationsmittel in dem amn sich gegebenenfalls nicht aus dem Weg gehen kann. Dies führt in einigen Fällen zu heftigsten Streitereien. Besonders Neulinge lassen sich gerne darin verwickeln. Dies ist dann aber nur ein Ausdruck mangelnder Medien- und Sozialkompetenz, verkennend, dass man eben den Sprüchen seines Gegenübers nicht ausweichen kann, räumt man nicht seinen Platz.

    Die Form des Aufgebens entspricht aber nicht der vielerorts verbreiteten „Ellbogenmentalität“. Es ist aber absolut erforderlich in solchen Vertrauenspersonen hinzuzuziehen, die einen wieder auf den Boden der Tatsachen herunterholen oder heraufziehen.

    Das sollte auch gang und gäbe sein wenn Kinder und Jugendliche im Internet surfen. Selbst wenn sie dann über Inhalte „stolpern“ die nicht für sie geeignet sind, sollte es selbstverständlich für diese Kinder und Jugendlichen sein einen geeigneten Ansprechpartner zu finden.

    Wenn das schon nicht möglich ist, brauchen wir uns um künstliche Sperren erstmal keine Gedanken zu machen. Denn die seelischen Grausamkeiten zu denen selbst Kinder bereits fähig sind, werden von keiner Sperre der Welt aufgehalten.


  2. Patrick, danke für deine ausführlichen Bemerkungen. Ich stimme Dir in Bezug auf die Medienkompetenz Jugendlicher völlig zu, dass deren (vermeintliche) technische Kompetenz oft trügt; bloss weil für 16jährige ICQ, Youtube, Wikipedia und Facebook ganz alltäglich sind, fehlen doch oft tiefergehende Fähigkeiten, die zu einer selbstbestimmten Nutzung dazugehören (wie kommen Informationen in die Wikipedia? Welches Publikum kann mein Profil einsehen? etc.).
    In Bezug auf den Jugendschutz würde ich Dir aber nicht folgen (zumindest dem, was ich aus Deinen Bemerkungen herauslese); ich glaube nicht, dass wir den Gedanken des Jugendschutzes (Heranwachsende vor entwicklungsgefährdenden Inhalten zu schützen) aufgeben sollten, bloß weil es im Internet schwieriger ist als in Print- oder Rundfunkmedien. Es ist richtig, dass viele Probleme durch Gleichaltrige entstehen, und es ist richtig, dass das etablierte Modell („wir setzen Filter [Alterskennzeichen, Zugangssperren, was auch immer] zwischen Sender und jugendliches Publikum“) nicht mehr so ohne weiteres funktioniert. Aber ich will auch nicht achselzuckend sagen: Dann lassen wir alle Inhalte im Netz zu und vertrauen darauf, dass Eltern ihre Kinder schon irgendwie beschützen können.
    Aber da sind wir ja schon mittendrin in der Überlegung, wie die demnächst beginnende Überarbeitung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags aussehen könnte.. :-)



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