Beitrag zu „zensursula“ für BISS

Anfang Juli bereits hatte ich für „BISS – Hamburgs Magazin für Politik und Lebensfreude“ einen Beitrag über die Vorgänge rund um das zensursula-Gesetz und die Rolle der SPD verfasst. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion kann ich den Text nun auch hier bei mir veröffentlichen – wie gesagt, schon einige Wochen alt, aber möglicherweise dennoch für den einen oder die andere interessant.

Zensursula und die SPD. Oder: Wie man sich den eigenen Online-Wahlkampf verhagelt

Barack Obama hatte 2007/2008 vorgemacht, wie man mit einem professionellen Online-Wahlkampf, der auf der Höhe der Zeit ist, einen grandiosen Erfolg feiert. Das ging auch an der SPD nicht spurlos vorbei: Hubertus Heil und andere Strategen aus dem Willy-Brandt-Haus waren in den USA zu Gast, und mit meinespd.net wurde eine Kommunikationsplattform etabliert, der die Kampagnenzentrale unter wahlkampf09.de an die Seite gestellt wurde. Immer mehr Kandidaten und Mandatsträger klinken sich in die sozialen Netzwerke von Facebook, studiVZ und Twitter ein, um dort ihre Person (und Botschaften) zu vertreten. Der Bundestagswahlkampf 2009 findet nicht mehr nur an Infostand und in den Massenmedien statt, sondern zu einem gehörigen Maß in den neuen Öffentlichkeiten des „Social Web“.

Das Anpassen von Werkzeugen ist jedoch nur ein Baustein; ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass diese Öffentlichkeiten nicht in der gleichen Weise bedient werden wollen, wie man es von Pressekonferenzen und 1:30-Statements bei Anne Will oder auch dem Verteilen von Flugblättern vor dem Supermarkt her kennt. Für viele Nutzer von Netzwerkplattformen, Blogs und Twitter sind Parteien zunächst einmal Eindringlinge in ihre eigenen kommunikativen Räume, insbesondere wenn Politiker dort nicht authentisch und dialogbereit auftreten. Die Kommunikation in diesen persönlichen Öffentlichkeiten ist oft eher Konversation als Publikation; sie richtet sich an kleinere Personenkreise, mit denen man in Freundschaft oder auch in eher entfernter Bekanntschaft verbunden  ist. Politische PR kommt dort nicht gut an, und weil die persönlichen Öffentlichkeiten untereinander stark vernetzt sind, verbreitet sich nicht nur die erhoffte Unterstützung, sondern eben auch Kritik sehr schnell.

Zu den zeitgemäßen Werkzeugen und der Kommunikation auf Augenhöhe müssen daher als drittes Element zukunftsweisende und glaubwürdige politische Inhalte und Positionen treten, die man gemeinsam mit den Bürgern bespricht, statt sie ihnen bloß zu verkünden, und bei Bedarf auch weiter entwickelt. Dumm nur, dass die SPD etwa ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl gerade diejenigen Personen vollkommen gegen sich aufbrachte, die zwingend für eine positiv-wohlwollende Stimmung in den neuen Öffentlichkeiten nötig gewesen wären: Die Angehörigen der „Generation C64“ (C. Stöcker), für die – unabhängig vom tatsächlichen Alter – das Internet kein Cyberspace ist, der losgelöst von der realen Welt existieren würde, sondern selbstverständlicher Teil des Alltags. Einschränkungen von Informations- und Kommunikationsfreiheiten im Netz sind für sie genauso real und bedrohlich wie in der „offline-Welt“ – sie wissen, dass das Internet nie ein rechtsfreier Raum war, sorgen sich aber, dass es zu einem bürgerrechtsfreien Raum verkommt.

Diese Menschen erlebten fassungslos, wie die Große Koalition auf Drängen von „Zensursula“ von der Leyen ein Gesetz auf den Weg brachte, das die Einrichtung einer Sperr-Infrastruktur für das Internet vorsieht. So einverstanden man mit dem Ziel ist – die Bekämpfung von Kinderpornographie –, so kritisch steht man den im Gesetz vorgesehenen Mitteln gegenüber: Verhältnismäßig leicht zu umgehende Warnseiten sollen vom Besuch von Seiten abhalten, die möglicherweise kinderpornographische Bilder (möglicherweise aber auch ganz andere Dinge) enthalten. So werden die anstößigen Inhalte jedoch nur verhüllt, keinesfalls aber entfernt oder gar ihr Entstehen verhindert. Unverständlich also, warum das BKA, das diese geheime Listen ohne ausreichende Kontrolle durch andere Verfassungsorgane führen soll, nicht zuallererst für das Löschen kinderpornographischer Inhalte sorgt, von deren Existenz man ja spätestens beim Erstellen der Listen Kenntnis hat.

Dass dies unkompliziert möglich ist, demonstrierte der „Arbeitskreis Zensur“, der durch Hinweise an die Provider entsprechende Seiten rasch abschalten ließ. Zudem machte er jedoch auch deutlich, dass zahlreiche auf europäischen Sperrlisten geführte Server keine kinderpornographischen Inhalte enthielten, also die Gefahr des Overblocking besteht. Ohnehin ist fraglich, ob man durch Websperren dem Problem gerecht wird, da Kinderpornografie im Internet fast ausschließlich in geschlossenen Nutzergruppen über andere Dienste als das World Wide Web verbreitet wird. Die Bundesregierung musste in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion selbst zugeben, keine Erkenntnisse über die internationale Verteilung von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten zu haben.

Der Protest gegen das Gesetzesvorhaben artikulierte sich im Netz und sprang von dort auch auf einige etablierte Medien über; er kulminierte in der bislang größten E-Petition, die innerhalb von vier Wochen über 130.000 Menschen zeichneten (darunter auch ich). Die Kritik entzündete sich nicht nur an dem augenscheinlich überhasteten und ungeeigneten Gesetzvorhaben, sondern vor allem an seinen möglichen Konsequenzen. Die Befürchtung, dass sich hier ein Dammbruch ereigne und die einmal eingerichtete Sperr-Infrastruktur bei den Providern ohne weiteres auch für andere Zwecke gebraucht werden könnte, erhielt rasch neue Nahrung, als verschiedene Unionspolitiker eine Ausweitung auf (wahlweise) Killerspiele, Raubkopien oder überhaupt alles Schlechte dieser Welt forderten.

Und was tat die SPD? Anstatt die Argumente dieser bislang lebhaftesten Debatte zur Regulierung des Internets aufzunehmen und sich von den zahlreichen Experten die Konstruktionsfehler und schädlichen Konsequenzen des Gesetzes erläutern zu lassen, wurde das Vorhaben in einer Mischung aus Koalitionsdisziplin, Unkenntnis und/oder Ignoranz sowie Angst vor einer Kampagne der BILD durchgepeitscht. Last-Minute-Initiativen u.a. von Ex-Juso-Vorsitzendem Björn Boehnig oder vom Online-Beirat beim Parteivorstand (dem ich auch angehöre), um die SPD-Fraktion doch noch zu überzeugen, blieben wirkungslos.

Dies ist in dreierlei Hinsicht bestürzend: Erstens handelt es sich um eine gefährliche politische Entwicklung, wurde doch mit Stimmen der SPD ein Gesetz beschlossen, das in unverhältnismäßiger Weise in die Informationsfreiheit eingreift. Zweitens macht es deutlich, dass die Partei Probleme hat, sich Diskursen in neuen Öffentlichkeiten zu öffnen, wichtige Themen auch kontrovers zu diskutieren und sich insbesondere dann überzeugen zu lassen, wenn die Argumente gegen die eigene Ausgangsposition sprechen. Drittens schließlich macht es den Online-Wahlkampf 2009 reichlich aussichtslos. Er sollte die SPD auch in der internetaffinen Bevölkerung, den relativ jungen und gut ausgebildeten Wissensarbeitern aus IT-, Medien-, Kultur- und Wissenschaftsbranchen verankern – das ist inzwischen so gut wie ausgeschlossen, denn man hat selbst die Wohlwollenden unter ihnen nachhaltig vergrätzt. Selbst wenn diese nicht geschlossen zu der one-issue-Partei der Piraten überlaufen, und selbst wenn einige von ihnen mit knirschenden Zähnen noch einmal Rot wählen sollten: Das Vertrauen dieser Multiplikatoren von heute und Entscheidungsträger von (spätestens) morgen in die SPD wird nicht so leicht wieder herzustellen sein. Man muss sogar damit rechnen, dass die Gegner der Netz-Sperren sich nun aktiv – und gut organisiert – in den Bundestagswahlkampf einmischen werden. Das könnten gerade die SPD-Politiker zu spüren bekommen, die sich öffentlich für das Gesetz eingesetzt haben. Und das ist doppelt schade, denn eines hat die Debatte um die Netzsperren erreicht: Viele – vor allem – junge Menschen interessieren sich plötzlich wieder für die Politik!

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