Nach zwei elternzeitbedingt eher ruhigen Monaten gibt es wieder mehr zu berichten. Woran arbeite ich gerade?
Oberste Priorität hat das Projekt zur Rolle von Online-Intermediären in der Meinungsbildung, das mittlerweile deutlich an Fahrt aufgenommen hat: Wir sind mitten in der Feldphase, d.h. wir führen derzeit Gruppendiskussionen und Einzelinterviews durch, um näher zu ergründen, wie Menschen unterschiedlichen Alters im Internet Informationen zu gesellschaftlich relevanten Themen auffinden und mit anderen diskutieren. Ich kann zu den Befunden noch nichts Näheres sagen, aber könnte mir vorstellen, in einigen Wochen mal etwas zu der Methode der Netzwerkkarten zu schreiben, die wir im Zuge der Interviews einsetzen.
Zum Thema „Intermediäre“ bin ich passenderweise heute in Berlin beim „Sommerforum Medienkompetenz“ der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg: Ich gebe einen kurzen Input und diskutiere am Nachmittag mit Robert Behrendt und Dagmar Unz darüber, welche Kompetenzen die gegenwärtige Medienlandschaft für die Meinungsbildung voraussetzt. Hier die Folien:
Auch sehr interessant in diesem Zusammenhang: Meine Kollegen Sascha Hoelig und Uwe Hasebrink haben in den letzten Wochen den deutschen Länderbericht (.pdf) des „Reuters Institute Digital News Survey 2016“ zusammengestellt und mir netterweise vorab zu lesen gegeben. Die Studie liefert Befunde, die repräsentativ für die deutsche Internetnutzerschaft sind und für eine Vielzahl von aktuellen Debatten hilfreich sein können; von allgemeinen Trends des Informationsverhaltens über Fragen des Vertrauens in Nachrichten(medien) und die Nutzung sozialer Medien um Nachrichten zu kommentieren oder weiterzuleiten bis hin zur Zahlbereitschaft für Nachrichten online.
Eine Lektüre des Berichts lohnt sich auf jeden Fall; ich will hier kurz auf einen sehr interessanten Aspekt eingehen, den ich auch mit den Kollegen diskutiert habe: In Abschnitt 3.3 geht es um die Einschätzungen der Befragten zu Auswahlmechanismen für Nachrichten. Eingeleitet wurden diese Fragen wie folgt: „Jede Nachrichten-Website, mobile App oder jedes soziale Netzwerk trifft Entscheidungen darüber, welcher Inhalt Ihnen angezeigt wird. Die Entscheidungen können von Redakteuren und Journalisten oder von Computer-Algorithmen getroffen werden, die Informationen darüber analysieren, welche anderen Inhalte Sie genutzt haben oder was Sie und Ihre Freunde auf sozialen Netzwerken geteilt oder womit Sie interagiert haben.“ (S. 45) Drei Varianten sollten eingeschätzt werden (Hervorhebung durch mich):
- Journalistische Selektion („Die Auswahl von Berichten für mich durch Redakteure und Journalisten ist ein guter Weg, Nachrichten zu erhalten“): 36% eher oder volle Zustimmung, 38% Unentschiedene, 26% eher oder volle Ablehnung.
- Algorithmische Selektion I („Die automatische Auswahl von Berichten für mich auf der Grundlage der von mir früher abgerufenen Informationen ist ein guter Weg, Nachrichten zu erhalten“): 36% eher oder volle Zustimmung, 39% Unentschiedene, 26% eher oder volle Ablehnung.
- Algorithmische Selektion II („Die automatische Auswahl von Berichten für mich auf der Grundlage der von meinen Freunden abgerufenen Informationen ist ein guter Weg, Nachrichten zu erhalten“): 23% eher oder volle Zustimmung, 41% Unentschiedene, 36% eher oder volle Ablehnung.
Diese Befunde sind m.E. mehrfach interessant. Erstens fällt der hohe Anteil der Unentschiedenen auf, was dafür sprechen kann, dass es sich um eine Frage handelt, über die sich die Befragten keine eindeutige Meinung gebildet haben bzw. nicht bilden können. Zweitens sind bei allen drei Varianten keine großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen erkennbar, allenfalls einige wenige Prozentpunkte mehr oder weniger. Drittens lassen sich offensichtlich auch keine Muster erkennen, dass journalistische Selektion und algorithmische Selektion als Gegensätze aufgefasst würden, also jemand nur das eine oder nur das andere für begrüßenswert hält. Im Bericht wird das nicht entsprechend ausgewiesen, aber mir wurde mündlich berichtet, dass die Antworten zu Statement 1 und 2 wohl recht hoch positiv korrelieren. Sprich: Wer journalistische Selektion für eher gut hält, hält auch algorithmische Selektion für eher gut, und umgekehrt. Ein interessanter nächster Schritt wäre, diesen Zusammenhang etwas näher zu ergründen – gilt er wirklich für alle Befragten oder lassen sich Gruppen erkennen, die ausschließlich das eine oder das andere befürworten würden?
Und was lese ich gerade beim S-Bahn-Pendeln? U.a. „Kultur der Digitalität“ von Felix Stalder; eine sehr interessante Analyse der gegenwärtigen „digitalen Situation“, die u.a. auf drei Grundformen der Referentialiät, der Gemeinschaftlichkeit und der Algorithmizität zurückgeführt wird.