Der SPIEGEL über Beta-Blogger

Im aktuellen Print-SPIEGEL ist ein Artikel über die deutsche Blogosphäre erschienen, der schon am Wochenende für einiges Rumoren gesorgt hat; inzwischen ist der Text auch online verfügbar. Ich komme auch kurz zu Wort; ich hatte mich letzte Woche länger mit einem der Autoren unterhalten, wobei es insbesondere um meine Einschätzung zu den Unterschieden zwischen der us-amerikanischen und der deutschsprachigen Blogosphäre ging. Im Nachhinein bin ich mit der Wortwahl im Zitat („Dass in Deutschland die breite Masse und nicht bloß ein paar Freaks das Gefühl bekommen, die etablierten Medien bieten nicht genug, ist unwahrscheinlich.“) etwas unglücklich, da ich Blogger und generell medienkritische Menschen nicht als ‚Freaks‘ im negativen Sinn aburteilen möchte, wie es möglicherweise verstanden wird. Die Aussage selbst passt meines Erachtens: Das Bedürfnis nach einer gesellschaftspolitischen Gegenöffentlichkeit zu zentralen politischen Themen ist in Deutschland nicht in dem Maße ausgeprägt wie in den USA nach 9/11 und Irak, weil die etablierten Medien (das duale Rundfunksystem einerseits und die relativ breit gefächerte Printlandschaft andererseits) noch ausreichend Wahlmöglichkeiten bieten.

Zu den vielen Kommentaren zum Text ((Hier beispielhaft, weil gut: Coffee and TV)) nur zwei Punkte von mir: Blogs in Deutschland – oder anderswo – am amerikanischen Maßstab zu messen ist zwar möglich, muss aber nicht unbedingt sein. Blogs sind ein Werkzeug zur halbwegs unkomplizierten Veröffentlichung von Inhalten im Internet; nirgendwo (am wenigsten im Software-Code) steht geschrieben, dass das End- oder Reifestadium eine politische Blogosphäre sein wird/muss, die den etablierten (Online-)Medien das Publikum abjagt. Wenn in Deutschland die einflussreichen Blogs über IT, Web 2.0, Medien oder sich selbst schreiben, ist das eben so; das braucht man meines Erachtens nicht bejammern oder bejubeln. Den Spiegel-Artikel sehe ich in dieser Hinsicht einerseits als (manchmal polemische) Beschreibung des gegenwärtigen Zustands hierzulande; andererseits baut er meines Erachtens aber auch argumentative Strohmänner auf ((„Was ist in Blogs nicht alles hineingeheimnisst und -geraunt worden. US-Blogger Glenn Reynolds verkündete in seinem Buch „An Army of Davids“ aus dem Jahr 2006: „Die Macht, die einst in den Händen von wenigen Profis konzentriert war, ist umverteilt worden in die Hände der vielen Amateure.“ Und der deutsche Philosoph Jürgen Habermas erblickte im Internet die „Wurzeln einer egalitären Öffentlichkeit von Autoren und Lesern“.““)), die nicht unbedingt das Selbstverständnis der Blogger in D wiedergeben. Da ist meiner Wahrnehmung nach die Entwicklung hier schon weiter; ein kritischer Artikel zu den Vermarktungschancen und -hoffnungen wäre möglicherweise treffender

Der zweite Punkt ist eher eine Hypothese zur möglichen Stagnation der deutschen Blogosphäre: Ich vermute, dass das Verharren bei ~X00.000 aktiven Blogs bzw. ~10% Bloggern unter den Internetnutzern (bitte nicht auf konkrete Zahlen festnageln) auch damit zu tun hat, dass inzwischen viele andere Möglichkeiten existieren, seine eigene persönliche Öffentlichkeit zu schaffen. Ich denke dabei gar nicht so sehr an Twitter und andere Microblogging-Tools, die sich vermutlich erst dann erschließen, wenn man schon mal gebloggt hat. Entscheidender ist meines Erachtens der Zuwachs bei Netzwerk-Plattformen von studiVZ über die Lokalisten und Facebook bis wer-kennt-wen.de: Dort finden im Moment Nutzer ihr „Wohnzimmer im Netz“, wo sie Informationen über sich für ein überschaubares Publikum publizieren. Das war (und ist) ja gerade eine der Stärken von Blogs: Die Hürden niedrig halten, um im Internet diejenigen Informationen, Erlebnisse und Gedanken zu veröffentlichen, die man persönlich für relevant hält – und dadurch mit Menschen in Kontakt bleiben bzw. treten, die Lebenswelt oder Interessen teilen.

Aber der Artikel, warum die deutschen Netzwerk-Plattformen weniger politisch sind als die amerikanischen, ist vermutlich schon in der Mache.

10 Kommentare

  1. Augenfällig sind natürlich die ca. 10%, welche dann ja zu Nielsen’s Law passten (90-9-1 Regel…)

    Nichtsdestotrotz: ist es nicht allein schon ein Erfolg, dass die Blogs in einer solchen Print(!)-Publikation Platz finden?


  2. Wäre es nicht interessant, das mal wissenschaftlich zu wenden, also die journalistische Diskussion über web 2.0-Phänomene in den Blick nehmen? Mich erinnert der spon-Artikel an viele viele andere journalistische Äusserungen über die mangelnde Qualität, das mangelnde „Experten“wissen in der wikipedia. Aus den Artikeln sprach oft so etwas wie Häme (weil Journalisten natürlich alle sauber recherchieren…) Was spricht sich in diesen Artikel wie aus?
    (Naja, entweder hypen oder niedermachen, wahrscheinlich. Ist das vielleicht einfach Angst um den Arbeitsplatz? )
    Der coffee and TV-Beitrag ist wirklich sehr lesenswert, aus anderen Gründen interessant ist auch die Entgegnung auf http://www.nachdenkseiten.de/?p=3350#more-3350

  3. Author

    @Andrej: Ja, ich warte eigentlich auch schon drauf, dass mal eine Analyse des medialen Diskurses zum Web 2.0 (oder bestimmter Facetten) vorgenommen wird ; ich fände das eine interessante Fragestellung bspw. für eine Diplom-/Magisterarbeit…


  4. Ich stimme den meisten Punkten zu, glaube jedoch nicht, dass man im Augenblick die amerikanische mit der deutschen Blogosphäre vergleichen kann.

    Die Summen die von Techcrunch und co. umgesetzt werden, sind in Deutschland wohl auch in ferner Zukunft nicht zu holen.

    Auch gibt es niemanden der umgekehrt in Blogs investiert, um auf diese Weise die Onlineangebote etablierter Medienkonzerne wie der Spiegelgruppe ernsthaft herauszufordern.

    Eine Wahlmöglichkeit besteht in dieser Situation vielleicht für die Leser, die auf ein internationales Angebot zurückgreifen können, allerdings nicht für (politische) Nachwuchsjournalisten.

    Diese können nach unzähligen Praktika allenfalls ins Volo noch München, Hamburg oder Köln und bekommen es da scheinbar mit ähnlich restriktiven Ansichten zu tun, wie sie in solchen Artikeln zu finden sind.

    Die Offenheit des Guardians oder der NY Times bleiben angesichts der Dominanz der alten Garde (von Aust bis Schirrmacher) sowieso ein ferner Traum.

    Es gibt (zumindest im politisch/gesellschaftlichen Bereich) keinen singulären Zustand der Blogosphäre oder der etablierten Printmedien, sondern nur einen Gesamtzustand der Onlinemedien in Deutschland.

    Dieser ist gerade deswegen so innovationsarm, weil nur so wenig Druck „von unten“ kommt. Weshalb es einem als halbwegs interessierten Leser vielleicht egal sein kann, was passiert.

    Wenn man allerdings selbst Journalist werden möchte, sollte man lieber den Schwanz einziehen und beginnen bei den Contentfabriken der „Großen“ zu buckeln.





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