[Dieser Beitrag ist modifiziert auch im Projektblog „Jugendliche und Web 2.0“ erschienen]
Vor einigen Wochen habe ich über eine Studie berichtet, bei der für Facebook die Auswirkung der Fotos von Freunden und deren Kommentaren auf die wahrgenommene Attraktivität eines Profileigners untersucht wurde. In der neuen Ausgabe des Journal of Computer-Mediated Communication gibt es nun einen neuen Artikel der Forschergruppe:
Stephanie Tom Tong, Brandon Van Der Heide, Lindsey Langwell, Joseph B. Walther (2008) : Too Much of a Good Thing? The Relationship Between Number of Friends and Interpersonal Impressions on Facebook. In: Journal of Computer-Mediated Communication 13 (3) , 531–549.
Ausgangspunkt ist folgende Beobachtung: Ein Merkmal von Kontaktplattformen wie schülerVZ, XING oder myspace ist, dass Besuchern einer Profilseite u.a. auch angezeigt wird, wie viele andere Personen der betreffende Nutzer zu seinen Freunden zählt. Der Begriff „Freund“ (wahlweise auch „Kontakt“) bedeutet in diesem Zusammenhang etwas anderes als im alltäglichen Sprachgebrauch: Es ist nichts Besonderes, dass Nutzer mehrere hundert, in Extremfällen sogar mehrere tausend andere Personen zu seinen „Freunden“ zählt. Ganz offensichtlich können dies nicht alles enge Freunde sein, sondern es sind (je nach Ausrichtung der Plattform) auch entfernte Bekannte, Schüler von der gleichen Schule, Kollegen o.ä., die man zur Liste seiner online-Kontakte hinzufügt. Soziologisch ausgedrückt, können also über solche Plattformen sowohl „strong ties“ als auch „weak ties“ abgebildet werden, die aber allesamt unter eine Rubrik – die „Freunde“ oder „Kontakte“ – gefasst werden.
Ethnographisch-qualitative Studien (z.b. von danah boyd) haben eine Reihe von Motiven herausgearbeitet, warum man auf Kontaktplattformen auch eher lockere Bekannte oder sogar Menschen, mit denen man bislang weder online noch offline viele Worte gewechselt hat, zu seinen „Freunden“ hinzufügt: Dazu zählt bspw. der Wunsch, das eigene soziale Netzwerk umfassend abzubilden und quasi „auf standby“ zu halten, aber auch Normen und Konventionen, dass es unhöflich sei, ein Kontaktgesuch abzulehnen. Für manche Nutzer mag es schließlich auch ein Bedürfnis sein, möglichst viele Kontakte zu knüpfen, um den eigenen Status zu heben: Je mehr Menschen ich kenne (und dies auf der Plattform sichtbar mache), desto erfolgreicher, beliebter, besser bin ich.
Das Forscherteam der Michigan State University hat nun untersucht, inwieweit die Anzahl der Freunde einen Einfluss auf die wahrgenommene Popularität bzw. Attraktivität des Profileigners hat. Dazu haben sie ein Experiment durchgeführt, in dem Versuchspersonen ein fiktives Profil der Plattform „facebook“ vorgelegt bekamen – die Anzahl der Freunde dieser fiktiven Person variierte aber zwischen 102 und 902 Freunden. Die Versuchspersonen sollten u.a. angeben, für wie attraktiv und für wie extrovertiert sie diese fiktive Person halten. Das Ergebnis: Der Zusammenhang zwischen Freundesanzahl und wahrgenommer Attraktivität ist umgekehrt U-förmig: Am attraktivsten wurde das Profil mit 502 302 Freunden eingeschätzt, wohingegen weniger, aber auch mehr Freunde die Attraktivität senkten. Das gleiche Ergebnis zeigte sich in Bezug auf die Einschätzung der Die Extrovertiertheit der fiktiven Person wird bei 502 Freunden am höchsten eingeschätzt.
Die Autoren der Studie folgern daraus mehrerlei: Menschen formen ihre Eindrücke über einen anderen Nutzer auf Kontaktplattformen auch (aber sicher nicht ausschließlich) aufgrund der Anzahl von Freunden, die diese Person hat. Eine höhere Freundesanzahl gilt dabei als Ausweis von größerer Attraktivität (was auch Ergebnisse älterer Studien über offline-Beziehungen bestätigt), aber ab einem bestimmten Punkt kippt diese Einschätzung: Menschen mit sehr vielen Facebook-Kontakten gelten möglicherweise als zu computerfixiert und unfähig, Kontakte auch im „echten Leben“ aufrecht zu erhalten, und werden deswegen als weniger attraktiv und extrovertiert eingeschätzt.
Wer führt diese Untersuchung hierzulande für Twitter durch, um zu überprüfen, ob es sich um „Lobos Law“ handelt? ;-)
Interessante Studie, danke für den Hinweis.
Eine Kleinigkeit möchte ich aber anmerken, Du schreibst: „Der Zusammenhang zwischen Freundesanzahl und wahrgenommer Attraktivität ist U-förmig […]“. Im Text wird jedoch, wenn ich das beim Überfliegen richtig gelesen habe, ein „curvilinear (inverted U-shaped)“ Zusammenhang berichtet, also ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang.
Bei Twitter gibt es ein asymmetrisches Freund-Konzept und die Experten streiten sich derzeit darüber, was die Zahl der Follower und die Zahl der Gefollowten genau bedeuten. Das eine sind die Leute, zu denen man sprechen kann (also das Publikum), das andere sind die Leute, denen man zuhören kann (die Bühne?).
@Bernd: Hoppla, hast vollkommen recht – ich hab es korrigiert.
@Benedikt: Man könnte ja den Zusammenhang zwischen wahrgenommener Attraktivität und Follower/Followed-Koeffizient berechnen – vielleicht werden Menschen, die mehr Leuten folgen als ihnen selbst folgen eher unsympathisch beurteilt (Stalker? :))
„It’s more fun to be a follower, but you make more money as a leader“
http://www.youtube.com/watch?v=AopWqv-eQFM
Twitter-Cult! :-)
Sehr geehrter Herr Schmidt,
erstmals danke für ihre informativen Seiten und Blogs, auf die ich beim Lesen ihres Buches „Das neue Netz“ (*großes Lob*) gestoßen bin ….
Ich habe gerade die Studie von Tong u.a. vor mir liegen und es scheint mir, dass das Profil mit 302 Freunden als das am attraktivsten beurteilt wurde, und das mit 502 Freunden als das am extravertiertesten… Oder hab ich da was falsch verstanden?
Vielen Dank &
liebe Grüße aus Österreich
Hmmm, ich habe gerade nochmal in den Aufsatz reingeschaut – in der Tat, da habe ich die verkehrte Zahl eingefügt; ich hab den Text grad mal korrigiert. Herzlichen Dank für den Hinweis!